2020 war ein Jahr der staatlichen Eingriffe, Repression und Legitimierung autoritärer Maßnahmen. Es ist Zeit unseren lautstarken Widerstand dagegen auf die Straße zu tragen.
Während Enthüllungen über rechte Netzwerke in der Polizei öffentlich wurden, veranlassten die Grünen in Baden-Württemberg eine Verschärfung des Polizeigesetz am 30. September diesen Jahres. Gewählt vor 10 Jahren als Absage an das Großprojekt Stuttgart21 und die massive Einschränkung des Widerstands dagegen, peitschen sie dieses Jahr Hand in Hand mit der CDU eine Geschenkpaket für alle Hardliner durch: Bodycams in Privatwohnungen, Handgranaten und Maschinengewehre, Ausweitung der Kommunikations- und Videoüberwachung, Einsatz von Staatstrojanern[0].
Menschen können unter dem Vorwand „drohender Gefahr“ durch Zwangsmaßnahmen erfasst werden. Die Unschuldsvermutung vor Gericht wird dadurch ad acta gelegt.
Mit Blick auf den Ausbau von Überwachungsmaßnahmen in der Vergangenheit wird recht schnell deutlich, dass ein „Mehr“ an Befugnissen nicht zwangsläufig auch ein „Mehr“ an Sicherheit zur Folge hat – bestes Beispiel dafür ist der NSU-Terror.
Wir fordern eine Kennzeichnungspflicht für Bullen, unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstellen und die Rücknahme der Verschärfungen des Polizeigesetzes.
Darüber hinaus sehen wir aber eine gerechte Gesellschaft nur ohne Polizeiapparat. Wir können nicht weiter zusehen, wie sich die Strukturen in diesem Staat immer autoritärer gestalten und uns gefährden. Nur durch den Abbau der Polizei und die Ausweitung präventiver Arbeit können wir gesellschaftliche Entwicklung entgegen zwischenmenschlicher Gewalt, Rassismus, Faschismus, Sexismus und anderer Diskriminierungsformen weiterbringen.
Während seit 2017 in Deutschland flächendeckend die Polizeigesetzgebungen verschärft wurden und damit Tür und Tor für mehr Überwachung, verstärkte rassistische Polizeipraxis und allgemein eine weitere Verschiebung der Exekutive ins Autoritäre ermöglicht wurde, ist diese Tendenz auch in den umliegenden Staaten ähnlich: In Frankreich herrscht der nun seit einem halben Jahrzehnt genutzte Ausnahmezustand, begründet mit dem Schutz vor Terror und nun auch Corona. In der Schweiz wurde das Anti-Terror-Gesetz manifestiert. Dieses nutzt einen ähnlichen Gefährder-Diskurs wie die deutschen Polizeigesetze. Das in Bern dieses Jahr in Kraft getretene Polizeigesetz enthält die selbe Logik, wie die neue Gebührenverordnung der deutschen Bundespolizei: Die Kosten für Einsätze sollen nun auf Protestierende abgewälzt werden[1, 2].
Die Tendenzen in der Gesetzgebung und die Ziele der Unterdrückung sind die selben, aber unsere Kämpfe bleiben entlang von Nationalgrenzen geteilt. Antinational- sollte auch heißen, sich über Grenzen hinweg solidarisch der Herrschaft entgegen zu stellen.
Doch was ist dieses Jahr im Südwesten eigentlich so passiert?
Im Mai 2020 wurden bei einer Querdenken Demo in Stuttgart mehrere Mitglieder der ultrarechten Pseudo-Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ angegriffen und verletzt. Die Polizei ermittelte seitdem mit Hochdruck gegen Antifaschist*innen mit den Vorwürfen Landfriedensbruch und versuchtem Totschlag.
Am 02. Juli schlug die Ermittlungsgruppe „Arena“ dann zu: 9 Wohnungen wurden in Baden-Württemberg von der Polizei gerazzt, eine beschuldigte Person – Jo – wurde nach Stammheim in Untersuchungshaft verschleppt. Seitdem folgten zwei weitere Einsätze mit einer Durchsuchung und einer weiteren Festnahme, nach der nun Dy ebenfalls in Stammheim sitzt. Die Ermittlungen sind nicht zu Ende: Anquatschversuche, Oberservationen und staatsanwaltliche Zeug*innenvorladungen werden vermutlich auch weiterhin folgen. Seid wachsam, haltet zusammen und schreibt Jo und Dy Briefe[3]!
Im selben Verfahren wurde auch das linke Hausprojekt Lu15 in Tübingen gerazzt. Und das gleich zum zweiten Mal in diesem Jahr. Denn auch schon im Februar drang die Polizei gewaltsam in das Haus und in eine Privatwohnung ein. Damals unter dem Vorwurf der versuchten (!) Sachbeschädigung. Zeitgleich mussten die beschuldigten Personen in Polizeigewahrsam grausame, schikanierende Behandlung ertragen. Die zweite Hausdurchsuchung im Rahmen der BaWü-weiten Razzien fand bei einem Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten statt. Obwohl dies der Polizei bekannt gemacht wurde, wurde erst einmal sämtliche Technik beschlagnahmt. Die Person befand sich an dem Tag allerdings nachweislich gar nicht in Stuttgart, was die Polizei dann auch eingestehen musste. Mittlerweile ist das Verfahren gegen die Person eingestellt. Die Betroffenen weiterer Durchsuchungen und die beschuldigte Person der ersten Razzia sind der Repression jedoch weiterhin unmittelbar ausgesetzt. Es bleibt abzuwarten, wie es weitergeht.
In Basel waren Staatsanwaltschaft und Gerichte dieses Jahr ebenfalls sehr übereifrig:
Vor vier Jahren suchte die Gruppe „Wir bleiben“ gemeinsam mit Asylsuchenden in der Basler Matthäuskirche Schutz um gegen nationale und internationale Migrationspolitik zu protestieren und einen Raum für Veränderung und Austausch zu eröffnen. Migrationsamt und Polizei stürmten die Kirche und nahmen die Asylsuchenden fest. Es war das erste Mal, dass das Kirchenasyl in Basel gebrochen wurde. Bei der auf den Polizeieinsatz folgenden Demo gegen das Vorgehen der Stadt reagierte die Polizei mit massiver Gewalt und beschoss die Protestierenden mit Gummischrot. Mehrere Menschen wurden aus kurzer Distanz im Gesicht getroffen und entgingen nur durch Glück schwereren Verletzungen. Feststellungsverfügungen zur Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes wurden daraufhin beantragt. Doch statt dass die Polizeigewalt aufgearbeitet wurde, wurden die Antragsteller*innen als Auskunftspersonen von der Staatsanwaltschaft vorgeladen und verhört. Letztendlich bekamen sie Strafbefehle wegen Landfriedensbruch und mehrfacher Störung von öffentlichen Betrieben. Die klassische Täter-Opfer-Umkehr des Staates – at its best[4].
Zudem finden derzeit in Basel zahlreiche Prozesse gegen Antifaschist*innen satt, denen vorgeworfen wird an einer Demo gegen den Aufmarsch der rechten PNOS (Partei National Orientierte Schweizer) teilgenommen zu haben. Um die 2000 Menschen stellten sich ihnen unter dem Motto ’Basel Nazifrei’ entgegen und verhinderten so die geplante Veranstaltung. Daraufhin kam es zu einer massiven Repressionswelle in der Schweiz. Neben zahlreichen Hausdurchsuchungen und DNA-Abnahmen gab es auch eine Öffentlichkeitsfahndung. Mittlerweile haben die ersten Prozesstermine stattgefunden und es zeigt sich, dass der Verfolgungswille gegen die Antifaschist*innen nicht abreißt. Es wurden hohe Bußen und auch Haftstrafen ohne Bewährung bis zu 8 Monaten ausgesprochen. Diese Urteile werden alleine für die Anwesenheit an der Demo – mit klarer antifaschistischer Haltung – gesprochen! Insgesamt gibt es rund 40 Gerichtsverfahren und es ist abzusehen, dass weitere hohe Strafen folgen werden. Es wird auch erwartet, dass es zu enormen Kosten kommen wird. Mit der Kampagne 500k wird versucht eine halbe Million Schweizer Franken zur Unterstützung der Angeklagten zu sammeln[5].
Während nun in Hamburg der Rondenbarg-Prozes beginnt und damit eine neues Kapitel der Kollektivschuld in der deutschen Justiz eröffnet, ist dieses Vorgehen bei den Basel18 Prozessen in der Schweiz bereits erprobt worden. Nach einer Scherbendemo in der Basler Innenstadt mit hohem Sachschaden und keiner einzigen Festnahme, wurden 18 Beschuldigte vor Gericht gezerrt. Das pikante daran: Keiner Person wurde eine konkrete Straftat vorgeworfen. Es reichte die angeblich Teilnahme an der Demo. Darüber hinaus war die Beweislage meist dünn bis absurd. Dennoch wurden 15 von 18 vor Gericht verurteilt: für Strafen bis zu 27 Monaten Haft und Kosten von einer Viertel Million Franken!
Die Berufungsprozesse werden folgen und eine wichtiger Moment für Solidarität und Unterstützung sein[6]. Haltet Augen und Ohren auf!
Bei bei der Analyse staatlicher Repression gegen unsere Strukturen bleibt aber nicht zu vergessen, dass für viele Menschen strukturelle Unterdrückung nicht erst dann beginnt, wenn wir uns wehren und politisch aktiv sind. Ob People of Color, Obdachlose, Queers oder Sexarbeiter*innen – für sie sind die Polizei und Justiz Akteure alltäglicher Gewalt. Und auch wenn uns die Freiburger Polizei bei Demos immer wieder angreift, ist das im Vergleich zu den tagtäglichen Kontrollen und Festnahmen, beispielsweise am Stühlinger Kirchplatz, nur ein kleiner Ausblick auf das was für andere der gewalttätige Normalzustand ist. Daher sollten wir unsere Kämpfe gegen die staatlichen Unterdrückungsinstitutionen immer solidarisch mit allen anderen Perspektiven führen. Politik für eine weiß dominierte linke Szene bringt noch lange keine gesellschaftlichen Veränderungen.
Und dennoch bleiben wir schlussendlich immer noch bei der Erkenntnis – Anna, Arthur und auch alle Anderen halten’s Maul! Keine Aussagen bei der Polizei oder im Gericht. Jede Info kann und wird gegen dich oder andere verwendet werden. Entlasten kannst du dich nur, wenn andere dadurch ins Visier geraten.
Informiere dich noch heute, was bei Hausdurchsuchungen zu tun ist. Bullen nutzen den Überraschungsmoment, also bereite dich auf den Moment vor. Infos dazu findest du zum Beispiel auf dem Blog des Anarchist Black Cross Südwest[7].
Besprecht Repression und was ihr dagegen tun könnt in euren Bezugsgruppen. Thematisiert den Umgang damit vor Aktionen und nicht erst wenn es geknallt hat. Anti-Repression geht uns alle an. Allein machen sie dich ein, aber Solidarität ist unsere Waffe!
Demo ’united we stand’ am 12.12. – 13:13 Bertoldsbrunnen Freiburg im Breisgau – kommt pünktlich und maskiert!
[0] NoPolG-BW: https://nopolgbw.org/
[1] Anti-Terror-Gesetz CH: https://rabe.ch/2020/10/07/referendum-gegen-anti-terror-gesetz/
[2] PolG Bern: https://www.antirep-bern.ch/das-neue-polizeigesetz-im-kanton-bern-was-kommt-da-auf-uns-zu/ und Gebührenverordnung Bundespolizei: https://taz.de/!5658040
[3] Jo und Dy: http://notwendig.org/
[4] Matthäuskirchen-Prozess: https://barrikade.info/article/3866
[5] Basel-Nazifrei: https://500k.ch/
[6] Basel18: https://abcsuedwest.blackblogs.org/ unter -> Solidarität
[7] ABC Südwest: https://abcsuedwest.blackblogs.org (Backup-Blog: abcsuedwest.noblogs.org)